INTERNATIONAL UNIVERSITY BREMEN

Grußwort von Prof. Dr. Peter Gruss, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.

   

am 25.3.2003 zum 80. Geburtstag von Professor Dr. Reimar Lüst

[ Mar 25, 2003]  Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
meine Damen und Herren,
lieber Herr Lüst


es ist mir eine große Freude, heute mit Ihnen Ihren 80. Geburtstag zu feiern, und ich gratuliere Ihnen persönlich wie auch im Namen der Max-Planck-Gesellschaft sehr herzlich.
„Den Tag, den uns die Götter einmal nur im Leben gewähren können, feiere jeder hoch!“, meinte schon Johann Wolfgang von Goethe. Schließlich wird man nur einmal im Leben 80 Jahre alt. Es ist schön, dass wir heute gemeinsam die Gelegenheit haben, diesen Anlass gebührend zu begehen.

Owe war sint verswunden alliu mîniu jâr!
ist mir mîn leben getroumet, oder ist ez wâr?

So heißt es in einem mittelhochdeutschen Gedicht von Walther von der Vogelweide. Für alle, die Mittelhochdeutsch nicht täglich sprechen, hier die Übersetzung: "O weh, wohin sind entschwunden alle meine Jahr! Mein Leben - war es ein Traum nur, oder ist es wahr?" - Lieber Herr Lüst, Ihr Leben erscheint mir wie ein gelebter Traum!

Kalendarisch mögen Sie 80 Jahre geworden sein, körperlich und geistig wirken Sie jedoch bedeutend jünger, glaubt man doch gemeinhin, dass der alternde Mensch nicht mehr die Leistungskraft früherer Jahre besitzt. Sie aber, lieber Herr Lüst, sind heute wie eh und je ein leuchtendes Vorbild an Idealismus, Disziplin, Pflichterfüllung, Lebenskunst und Lebenserfolg.

Etwas ketzerisch ließe sich fragen, warum feiert man eigentlich Geburtstag? - Dafür, dass man geboren wurde, kann man nichts, das haben ja schließlich die Eltern zuwege gebracht. Dass man älter geworden ist, ist zunächst eine Leistung der Natur, Ihrer longevity Gene.
Tatsächlich gibt es solide molekulargenetische Daten, erhoben an dem Nematodenmodellsystem, die zeigen, dass Altern keine Zauberei ist, sondern kontrolliert wird von genetischen Leistungen. Das Feld der Alternsforschung ist dadurch in Bewegung geraten. Wenn einzelne Gene verändert werden, bleiben Tiere, die alt sein sollten, länger jung. Extrapoliert man das auf den Menschen, dann würde ein Neunzigjähriger sich wie ein 45 jähriger fühlen und so aussehen. Lieber Herr Lüst, kann es sein, dass Sie - auch hier Ihrer Zeit weit voraus - bereits eine natürliche Mutante dieser Art sind?

Sind so gesehen Geburtstagsfeiern unberechtigt? Hat Goethe etwa nicht nachgedacht, als er den eingangs zitierten Satz formulierte? - Betrachten wir die Angelegenheit einmal aus einem anderen Blickwinkel: Nehmen wir das Leben als ein wunderbares Geschenk. Jedes Jahr, das es länger wärt, bietet uns neue Chancen, uns selbst zu verwirklichen. Ist es uns gelungen, nach unseren Vorstellungen zu leben, sind unsere Wünsche in Erfüllung gegangen, dann können wir unseren Geburtstag als Erntedankfest feiern. Und welche Ernte Sie eingefahren haben!

Ihre herausragenden wissenschaftlichen Leistungen wurden bereits so oft beschrieben und bewundert – ich erwähne nur die berühmten Bariumwolken –, dass ich dies angesichts der beschränkten Redezeit nicht ein weiteres Mal wiederholen will. Gleichwohl will ich diesen Aspekt Ih-res vielfältigen Wirkens ausdrücklich hervorheben, denn der Wissenschaft haben Sie ein ganzes Leben lang gedient, und die Wissenschaft hat Ihnen – dem Wissenschaftler ebenso wie dem Wissenschaftsmanager – Vieles zu verdanken.
Ich spreche heute zu Ihnen als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, ein Amt, das Sie selbst 12 Jahre lang innehatten. Aber nicht nur das: Mehr als 50 Jahre lang haben Sie, lieber Herr Lüst, die Geschicke und die Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft begleitet, gestaltet und geprägt.

Nach Ihrem Studium der Physik in Frankfurt am Main begannen Sie Ihre wissenschaftliche Laufbahn im Jahr 1950 als Wissenschaftlicher Mitar-beiter am Max-Planck-Institut für Physik in Göttingen und haben dort bereits 1951 bei Carl Friedrich von Weizsäcker promoviert. 1958 gingen Sie mit dem Institut nach München. Dort wurden Sie zwei Jahre später zum Wissenschaftlichen Mitglied am Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik berufen. 1963 wurde die Astrophysik unter Ihrer Leitung zum Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik verselbständigt.

Als Sie 1972 das Amt des Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft übernahmen, gab es nicht wenige Stimmen, die darin einen Verlust für die Wissenschaft sahen. Nina Grunenberg schrieb 1972 in einem Essay in der Zeit: "Es gibt deshalb auch Leute, die sich fragen, ob es nötig und sinnvoll ist, dass sich ein solcher Mann fortan nur noch der Organisation der Wissenschaft zuwendet statt der eigenen Forschung." Liebe Frau Grunenberg, ich denke, wir sind uns heute alle einig, dass die Max-Planck-Gesellschaft und die Wissenschaft in Deutschland insgesamt sich glücklich schätzen dürfen, dass Sie, lieber Herr Lüst, diese Entscheidung damals so getroffen haben.
Als Mitglied seit 1965 und seit 1969 als Vorsitzender des Wissenschaftsrates oder als Wissenschaftlicher Direktor der European Space Research Organization (ESRO; 1962 – 1964) und als deren Vizepräsident (1968 – 1970) waren Ihnen Wissenschaftspolitik und Wissenschaftsadministration bereits bestens vertraut.

Als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft erwarteten Sie allerdings eine ganze Reihe großer Herausforderungen. Seit Ende der 60er Jahre hatte es sich abgezeichnet, dass auch in der Max-Planck-Gesellschaft eine Erneuerung der inneren Strukturen notwendig war. Während die Universitäten in Folge der Umwälzungen nach 1968 in große Turbulenzen gerieten, ist es der Max-Planck-Gesellschaft unter Ihrer Leitung gelungen, zeitgemäße Reformen ihrer Strukturen zu verwirklichen, ohne die Kultur, die Tradition und die Identi-tät der Gesellschaft voreilig dem Zeitgeist zu opfern. Die damals auch in der Max-Planck-Gesellschaft heiß diskutierte und heiß umkämpfte Sat-zungsreform prägt bis heute maßgeblich die Binnenstruktur der Max-Planck-Gesellschaft.

• Die Wissenschaftlichen Mitarbeiter sind seitdem in den Gremien der Max-Planck-Gesellschaft – von den Sektionen über die Berufungskommissionen bis hin zum Senat – durch gewählte Repräsentanten vertreten.

• Fachbeiräte, besetzt mit externen Experten des jeweiligen Gebiets, wurden an jedem Institut eingerichtet, um die Arbeit der Max-Planck-Institute von außen zu begleiten und auch zu bewerten.

• Die Leitungsbefugnis der Direktoren wurde auf 6 Jahre begrenzt; über jede Verlängerung muss der Verwaltungsrat entscheiden.

Diese drei Aspekte: Die Befristung der Leitungsbefugnis, die regelmäßige Evaluation durch externe Wissenschaftler und die Integration der Wissenschaftlichen Mitarbeiter in die Entscheidungsprozesse der Gesellschaft, waren die wichtigsten Neuerungen der Satzungsreform von 1972 und sind heute zu zentralen Wesensmerkmalen der Max-Planck-Gesellschaft geworden.

Auch auf einem weiteren Feld haben Sie, lieber Herr Lüst, Pionierarbeit geleistet: Die unabhängigen Nachwuchsgruppen, die Sie in den 70er Jahren als ein neues Instrument der Förderung junger Nachwuchswissenschaftler geschaffen haben, sind zu einem Erfolgsmodell nicht nur für die Max-Planck-Gesellschaft geworden. Das Modell wird nun im 6. Rahmenprogramm sogar auf europäischer Ebene aufgegriffen.
In den 12 Jahren Ihrer Präsidentschaft hatten Sie wiederholt auch mit finanziellen Engpässen zu kämpfen. Nach dem rasanten Auf- und Ausbau der Max-Planck-Institute in den 60er Jahren begann mit der Welt-wirtschaftskrise 1973 eine Phase der Stagnation. Drei Institute, zwei Forschungsstellen und zwölf Abteilungen haben Sie während Ihrer Amtszeit geschlossen. Andere Institute wurden wissenschaftlich neu ausgerichtet und neu strukturiert. Gleichzeitig aber gelang es Ihnen, trotz quantitativer Stagnation durch eine systematische Reallokation der Ressourcen Neues zu schaffen – insgesamt 10 Institute und 5 For-schungsstellen haben Sie neu gegründet.

Ich selbst bin nun 9 Monate im Amt, und es erscheint mir, dass die Lage der Max-Planck-Gesellschaft in diesen Tagen in mancher Hinsicht durchaus derjenigen ähnlich ist, wie sie Anfang der 70er Jahre bestand. Nach den Jahren des Aufbaus Ost steht die Max-Planck-Gesellschaft heute am Ende einer starken quantitativen Expansion. Die finanziellen Rahmenbedingungen verschlechtern sich zunehmend, die Notwendigkeit einer Konsolidierung wird deutlich, um Handlungsspielräume auch für die Zukunft zu erhalten. Getreu dem Motto "per aspera ad astra" will ich mir daher gerne an Ihnen ein Beispiel nehmen, um auch in schwierigen Zeiten die Fähigkeit der Max-Planck-Gesellschaft zu bewahren, nach den Sternen zu greifen, sich neuen Themen zuzuwenden und weltweit die besten Wissenschaftler dafür zu gewinnen.

Ihr Wirken als Wissenschaftspolitiker reichte aber weit über die Max-Planck-Gesellschaft hinaus. So hatten Sie wesentlichen Anteil an der Gründung der European Science Foundation (ESF), die sich heute als die tragende Plattform der Wissenschaftsorganisationen in Europa ent-wickelt hat und die sich nun anschickt, einen "European Research Council" als eine formale Organisation und Stimme der Wissenschaft in Europa zu etablieren.
Unter den vielen internationalen Kontakten, die Sie gepflegt und ausgebaut haben, möchte ich besonders Ihr frühes und weitsichtiges Engagement in der Volksrepublik China erwähnen. Die Kontakte, die Sie damals zwischen der Max-Planck-Gesellschaft und der Chinesischen Akademie der Wissenschaft geknüpft haben, hatten auch in den schwierigsten Zeiten Bestand. Die heute enge und für beide Seiten fruchtbare wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Max-Planck-Gesellschaft und ihren chinesischen Partnern ruht auf einem Fundament gewachsenen Vertrauens, das von Ihnen damals gelegt wurde.

Im Anschluss an Ihre Zeit als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft zogen Sie sich keinesfalls zurück, ganz im Gegenteil. Zunächst strebten Sie gewissermaßen zu "Höherem", zur europäischen Weltraumorgani-sation ESA, deren Generaldirektor Sie bis 1990 waren. Sie trugen dort maßgeblich dazu bei, die damals noch junge ESA als international an-erkannten Partner in der Raumfahrt zu etablieren. So haben Sie bei-spielsweise die Entwicklung der Ariane zu einem leistungsfähigen Trägersystem vorangetrieben und damit einen wesentlichen Beitrag zu dem Standing geleistet, das die europäische Raumfahrt heute hat.

Ihre Leistungen als Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung (1989-1999) zu würdigen, will ich berufenerem Munde überlassen. Doch haben Sie auch in diesem Amt mit Ihrer Kompetenz, Ihrer Erfahrung und Ihrer Persönlichkeit viel für die Wissenschaft in ihrem internationalen Kontext bewirkt.

Heute sind Sie Vorsitzender des "Boards of Governors" an der International University Bremen, einer vornehmlich privat finanzierten Hochschule, die es in nur wenigen Jahren [Gründung 1999] geschafft hat, in-ternationales Ansehen zu gewinnen. Auch dies will ich hier nicht vertiefen, denn darauf ist Herr Schaumann bereits ausführlich eingegangen. Doch auch dies zeigt, mit welcher Energie und mit welcher Schaffenskraft Sie sich bis heute für die Weiterentwicklung der Wissenschaft und des Wissenschaftssystems in Deutschland und darüber hinaus engagieren.

Lieber Herr Lüst, es ist kaum möglich, in so kurzer Zeit all das, was Sie für die Wissenschaft geleistet haben – als Forscher, als Wissenschaftsorganisator und als Wissenschaftspolitiker – zu erwähnen und zu würdigen. Die zahllosen nationalen und internationalen Ehrungen, die Ihnen zu Teil wurden, sind jedoch Beweis für die Anerkennung, die Ihnen entgegengebracht wird.

So wünsche ich Ihnen zum Schluss, dass Ihre longevity Gene Ihnen noch viele Jahre geben mögen, um auch weiterhin Ihren Traum zu leben. Aber wenn ich Sie mir so anschaue, mache ich mir darum wenig Sorgen. Ganz im Gegenteil: Sie erinnern mich an eine typische Churchill-Anekdote: Ein Fotograf, der an Churchills achtzigstem Geburtstag Aufnahmen von ihm gemacht hatte, meinte höflich, er hoffe, ihn auch an seinem hundertsten Geburtstag photographieren zu können. "Warum nicht, junger Mann?" sagte Churchill. "Sie sehen doch eigentlich ganz gesund aus."

Wir hoffen, dass wir uns auch an Ihrem Hundertsten von Ihnen ein Bild machen können. Bis dahin halten wir es aber mit Goethe und feiern hoch den Tag, den uns die Götter einmal nur im Leben gewähren können.



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Author: --. Last updated on 23.06.2005. © 2005 International University Bremen, Campus Ring 1, 28759 Bremen. All rights reserved. No unauthorized reproduction. http://www.iu-bremen.de. For all general inquiries, please call IUB at +49 421 200-4100 or mail to iub@iu-bremen.de.