JACOBS UNIVERSITY BREMEN

Sozialer Mehrwert durch Musik? Begleitstudie der Jacobs University zur Symbiose von Bremer Kammerphilharmonie und Gesamtschule Bremen-Ost

   

Seit April 2007 nutzt die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen die umgebaute Schulaula der integrierten Gesamtschule Bremen-Ost und verbindet ihre Probenarbeit vor Ort mit zahlreichen Schülerprojekten in einem der sozialen Brennpunkte Bremens. Ein Forscherteam der Jacobs University Bremen unter der Leitung von Klaus Boehnke, Professor of Social Science Methodology, begleitet die preisgekrönte Kooperation zwischen dem weltberühmten Elite-Orchester und der Gesamtschule. Ziel der Studie ist es, die Akzeptanz und die soziale wie psychische Nachhaltigkeit dieser außergewöhnlichen Konstellation zu dokumentieren und die weitere Projektentwicklung konstruktiv zu begleiten.

[ Dec 10, 2008] 

Tenever und Ellenbrok-Schevenmoor: In den beiden Bremer Ortsteilen, aus denen die meisten der insgesamt 1252 Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Bremen-Ost (GSO) stammen, ist rund ein Fünftel der Erwachsenen arbeitslos. Ein Großteil der Bevölkerung ist auf Sozialleistungen wie „Hartz IV“ angewiesen: in Ellenbrok-Schevenmoor sind es 19 %; in Tenever sogar
43 %. Beide Ortsteile haben zudem einen hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund. Seit April vergangenen Jahres beherbergt dieses klassische Brennpunktmilieu mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen jedoch ein Spitzenunternehmen der deutschen Kulturlandschaft, das mit seinen Leistungen weltweit für enthusiastische Schlagzeilen sorgt.

Ihr neues Domizil wählte die Kammerphilharmonie nicht allein aus praktischen Gründen sondern auch um der außergewöhnlichen pädagogischen Perspektiven willen, die diese Konstellation ermöglicht. Kontinuierliche Jugendarbeit bietet, neben der Zusammenarbeit mit Schulorchester und -chor, die gemeinsam von Schülern und Musikern in Workshops erarbeitete Musikshow „Melodie des Lebens“. Alltägliche Begegnungen, wie die Teilnahme von Klassen an den Orchesterproben oder Unterrichtsbesuche der Musiker, ergänzen die Projektarbeit. Nicht zuletzt treffen Schüler und Orchester regelmäßig beim Essen in der Mensa aufeinander. Im Jahr 2007 honorierte das Zukunftsinstitut die außergewöhnliche Zusammenarbeit zwischen dem Orchester und der Gesamtschule mit seinem „Zukunftsaward“.

Doch wie wirkt diese ungewöhnliche Symbiose? Akzeptieren die Schüler die Musiker und ihre Projekte? Können auch schulferne Kinder und Jugendliche aus schwierigem sozialem Umfeld erreicht werden? Lässt sich eine positive Wirkung auf das Lernklima in den Klassen und das Schulklima insgesamt beobachten? Diese und andere Fragen stehen im Fokus der Begleitstudie der Jacobs University unter der Leitung von Klaus Boehnke. „So eine einmalige Forschungsgelegenheit wollten wir einfach nicht ungenutzt und diese faszinierende Begegnung in ihren Wirkungen nicht undokumentiert lassen“, so der Experte für Jugendpsychologie und empirische Sozialforschung.

Angelegt als Langzeitstudie mit einer für 2010 geplanten Wiederholung wurde die erste Gesamtbefragung im November 2007 wenige Monate nach dem Einzug der Kammerphilharmonie in die GSO durchgeführt, um die Anlaufphase des Projektes abzubilden. Auffällig war an den Ergebnissen, die jetzt als Forschungsbericht vorliegen, dass sich zum Befragungszeitpunkt die positive, oft sogar begeisterte Resonanz, auf die die Präsenz der Philharmoniker in der GSO stieß, noch nicht in einer entsprechenden Verankerung der Projektarbeit in der Schülerschaft niederschlug: So befürworteten rund 70 % die Anwesenheit des berühmten Orchesters und wünschten sich darüber hinaus einen Ausbau der Kooperation mit weiteren Projekten, Konzerten und Unterricht durch die Musikprofis.
            Die überwiegende Mehrheit der Kinder, fast drei Viertel, stand einer Teilnahme an den Projekten jedoch skeptisch oder sogar ablehnend gegenüber. Nur ein knappes Drittel verknüpfte mit der Projektteilnahme die Erwartung, ihre Lebensqualität im Stadtteil oder speziell ihre schulische Situation zu verbessern. Genauere statistische Analysen machten außerdem deutlich, dass bisher vor allem solche Kinder erreicht wurden, die ihren schulischen Alltag bereits als positiv erfahren und bei denen ohnehin schon Interesse für Musik und speziell klassische Musik sowie Tanz besteht.
            Ausschlaggebend für eine positive Einstellung zu der Kooperation waren jedoch weder die sozioökonomische Situation des Elternhauses noch der ethnische Hintergrund der Kinder und Jugendlichen. Entscheidend war viel mehr, wie häufig die Schüler und Schülerinnen bereits Kontakt mit den Musikern hatten. Auch zeigten sich generell die Jüngeren zwischen 9 und 11 Jahren für die Projektarbeit besonders aufgeschlossen.

Studienleiter Klaus Boehnke zu den Ergebnissen: „Positiv überrascht hat uns, dass in dieser ersten Untersuchung kein Zusammenhang zwischen dem materiellen Hintergrund oder der Herkunft der Kinder und ihrer Akzeptanz des Kammerphilharmonieprojektes nachzuweisen war. Dieser Befund macht deutlich, dass tendenziell alle Schüler gleichermaßen von dem Projekt erreicht werden können, was auf lange Sicht hoffentlich auch für die schulfernen „Sorgenkinder“ gilt.“ Während man bei der Erstbefragung vor allem die Phase dokumentiert habe, in der sich Schüler und Philharmoniker noch „beschnuppern“ und die Mehrzahl der Schüler das volle Potential der Projektangebote noch nicht erfasst habe, rechne man damit, in der für 2010 geplanten Untersuchung eine deutlich breitere Akzeptanz der Projektarbeit und daher erste positive Langzeiteffekte auf das Schul- und Lernklima beobachten zu können, so Boehnke weiter.

Fragen zu der Studie beantwortet:
Dipl. Soz. Nicola Bücker

Stellvertretende Projektleiterin
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E-Mail: n.buecker@jacobs-university.de

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Author: Dr. Kristin Beck. Last updated on 10.12.2008. © 2008 Jacobs University Bremen, Campus Ring 1, 28759 Bremen. All rights reserved. No unauthorized reproduction. http://www.jacobs-university.de. For all general inquiries, please call the university at +49 421 200-40 or mail to info@jacobs-university.de.