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Hauptberuf: Mutmacher

René Wells
 
14. Juli 2016
 
Früher war er Schauspieler, Tänzer und Regisseur und trat unter anderem am Broadway auf. Heute lebt und arbeitet René Wells an der Jacobs University. Als Head of Campus Life leitet er ein 14-köpfiges Team, das sich um alle Uni-Aktivitäten kümmert, die nichts mit Seminaren und Vorlesungen zu tun haben. Vor allem aber macht er Studierenden Mut, sich selbst auszuprobieren. Denn er weiß aus eigener Erfahrung, wovon er spricht.
 
Strukturen schaffen. Neue Dinge ausprobieren. Den Kopf frei bekommen. Davon spricht René Wells gern, wenn er über sich und seine Arbeit erzählt. Wer den 46-Jährigen in seinem Büro an der Jacobs University besucht, merkt schnell, dass ihm diese Themen am Herzen liegen. Er spricht schnell und fokussiert. Komplexe Zusammenhänge erläutert er gern an einem großen Whiteboard, auf dem er schreibt und zeichnet. Daneben steht ein gemütliches beiges 70er-Jahre-Sofa, das er auf dem Sperrmüll entdeckt hat. „Wer etwas mit mir besprechen will, soll sich hier wohl fühlen und nicht an irgendeinem kühl wirkenden Besprechungstisch Platz nehmen müssen.“ Neben dem Sofa steht ein roter Bär. Er sieht aus wie ein großes Gummibärchen, besteht aber aus Pappmaché und trägt einen Professorenhut. Der Bär ist ein Requisit aus einer Theater-Aufführung. Zugleich vermittelt er eine Botschaft, die René Wells wichtig ist: Stress und Leistungsdruck müssen ein Studium nicht dominieren. Es darf, ja es sollte immer auch Spaß machen.
 
René Wells hat mehrere Theateraufführungen an der Jacobs University mitorganisiert. Von gutem Theater hat er eine klare Vorstellung: „Es muss nah dran sein am Leben. An den Menschen mit ihren Problemen, Ängsten und Sehnsüchten“, sagt er. „Aber ich glaube, wenn man zu lange auf und hinter der Bühne arbeitet, verliert man leicht das Gefühl dafür, was die Leute außerhalb der Theatermauern eigentlich beschäftigt.“ Wells hat es selbst erlebt. Mehr als zehn Jahre lang hat der studierte Theaterwissenschaftler als Schauspieler, Tänzer und Regisseur am Alley Theater in Houston / Texas gearbeitet, Gastspiele führten ihn sogar an den New Yorker Broadway. „Irgendwann kam es mir so vor, als würde ich in einer großen Blase leben, die mich von der Außenwelt trennt.“ Wells machte deshalb einen radikalen Schnitt. Er kehrte dem New Yorker Theaterviertel den Rücken, arbeitete einige Monate als Holzfäller und lebte in einer einsam gelegenen Hütte in den Wäldern Nordamerikas.
 
Dann zog es den Sohn eines US-Amerikaners und einer Deutschen aus familiären Gründen nach Bremen. „Am Anfang habe ich auf dem Wochenmarkt gejobbt. Irgendwann las ich eine Jobanzeige der Jacobs University. Sie suchten jemanden, der ein Wohnheim leitet.“ Die Jacobs University war Wells seit Langem ein Begriff. Sein Vater, der Mathematikprofessor Raymond O. Wells, hatte die Universität einst mit aufgebaut, war aber mittlerweile im Ruhestand. „Dass ich einmal an derselben Uni arbeiten würde wie mein Vater, hat keiner von uns beiden geplant“, betont René Wells. Zweifelsohne: In die Fußstapfen von jemand anderem zu treten – das wäre nichts für einen freiheitsliebenden Menschen wie ihn. Seine Schuhsohlen haben ihr eigenes, individuelles Profil. Und das zeigte sich auch schnell, nachdem er den Job an der Jacobs University angetreten hatte. Nur die Abläufe im Wohnheim zu organisieren – das war ihm nicht genug. Gemeinsam mit Studierenden baute er ein eigenes Theater auf. Er zimmerte mit ihnen die Bühne, kümmerte sich um Licht, Regie und Kostüme. Der Theaterprofi hatte wieder zu seiner alten Leidenschaft zurückgefunden. Noch heute hängen Plakate der ersten Stücke in seinem Büro.
 
Inzwischen wohnt René Wells auch auf dem Campus – zusammen mit seiner Frau, die er an der Jacobs University kennen und lieben gelernt hat. Die Aufgaben seiner Abteilung Campus Life sind vielfältig. Schließlich versteht sich die Uni nicht nur als Lehr- und Forschungseinrichtung, sondern auch als Ort, an dem ein friedliches Miteinander von jungen Menschen aus mehr als 100 verschiedenen Ländern praktiziert wird. So gehört es zum Studienkonzept, dass die Bachelor- Studierenden auf dem Campus wohnen: „Wir achten deshalb darauf, dass sich möglichst Leute aus ganz unterschiedlichen Ländern ein Apartment teilen“, sagt Wells. „Schließlich liegt in unserer Internationalität ein ungeheures Potential für interkulturelles Lernen.“
 
Außerdem unterhält die private Universität zahlreiche Kooperationen zu Vereinen, Kultur- und Sozialeinrichtungen. Studierende bringen zum Beispiel Kita-Kindern Englisch bei, unterstützen Jugendliche aus sozial schwachen Familien oder geben Klavierkonzerte in Altenheimen. In ihren Colleges organisieren sie zudem selbstständig so genannte „Cheer up!“-Aktionen. „Cheer up!“ heißt auf deutsch „Kopf hoch!“ – und das ist nicht nur als Aufmunterung zu verstehen. Es ist auch eine Einladung, in stressigen Prüfungsphasen nicht nur über Lehrbüchern und Laptop zu brüten. Selbstgebackener Kuchen und gesunde Smoothies sollen die Kommilitonen aus ihren Wohnheim- Zimmern locken. „Die Freiwilligen bekommen ein Budget für ihre Einkäufe und organisieren alles selbst“, sagt Wells. „Wir bieten ihnen nur den Rahmen und ermutigen sie, sich zu engagieren. Die Initiative kommt von ihnen.“
 
Dass Studierende sich nicht nur auf ihre Fachschwerpunkte konzentrieren, sondern auch abseits der Vorlesungen ihren Horizont erweitern, ist René Wells wichtig. Er möchte, dass es ihnen nicht so ergeht wie ihm einst in der Theater-Blase am Broadway. „Es ist gut, dass die meisten Studierenden bei uns von Natur aus neugierig sind“, sagt er. „Viele, die zu uns kommen, sind in der Schule deshalb als Nerds und Streber wahrgenommen worden. Bei uns hingegen ist es normal, dass Studierende überdurchschnittlich intelligent sind. Sie merken, dass sie nicht mehr in einer Sonderrolle sind. Das gibt ihnen den nötigen inneren Freiraum, um neue Seiten an sich selbst entdecken.“
 
Sich selbst ausprobieren. Neues erfahren. Ungeahnte Fähigkeiten entwickeln. Dafür sei das Studium die richtige Zeit – davon ist René Wells fest überzeugt. Dass Studierende in Deutschland seit der Einführung von Bachelor und Master einen strafferen Lehrplan haben als zuvor, ändere nichts daran, dass es wichtig sei, sich im Studium selbst besser kennenzulernen. „Selbsterfahrung und Lernerfolg sind keine Widersprüche“, sagt er. „Im Gegenteil. Die erfolgreichsten Studierenden bei uns sind oft gerade nicht diejenigen, die sich nur aufs Lernen konzentrieren. Es sind diejenigen, die nebenbei in der Rudermannschaft trainieren, Theater spielen oder Flüchtlingskindern bei den Hausaufgaben helfen.“
 
Solche Aktivitäten neben dem Studium seien in mehrerer Hinsicht hilfreich. „Wer sich regelmäßig für etwas engagiert, muss sich seine Zeit besser einteilen, als jemand, der sich nur aufs Studium konzentriert. Das hilft dabei, den Alltag zu strukturieren“, sagt Wells. „Hinzu kommt: Sie helfen dabei, offener und experimentierfreudiger zu werden – und dabei vielleicht sogar Dinge zu erleben, die so spannend sind, dass man davon irgendwann mal seinen Enkeln erzählen wird.“
 
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